Óbuda
Óbuda war wie eine Familie. Die Juden hielten zusammen, jeder kannte jeden. Es stimmt nicht, dass nur reiche Juden in Óbuda gewohnt haben. Viele waren arm, es gab ja in einigen Familien viele Kinder, wie bei uns zum Beispiel. Nachdem mein Vater so früh gestorben war, zog meine Mutter mich und meine vier Geschwister ganz allein groß. Mein älterer Bruder Richárd machte eine Ausbildung zum Goldschmied. 1937 ging er nach Afrika zu seinem Cousin, später folgten ihm andere Familienmitglieder nach. Auch mein Mann und ich verbrachten einige Zeit dort.
Mit Christen hatten wir keinen Kontakt.
Schule
Eine meiner besten Freundinnen war Bözsi Braun. Und ich erinnere mich auch an Margit Waldmann, Rózsi Burger und László Reisz. Bözsi Schön und Teri Schön waren Zwillinge, Klári Fried und Magda Fried ebenfalls. Jenő Gümzer starb im Konzentrationslager.
In dem Gebäude auf dem Schulgelände wohnte die Familie Weisz.
Wir waren in der ersten Klasse, als Ignác Schreiber, Schuldirektor und Rabbi, von einer Straßenbahn überfahren wurde. Er war der erste, der auf dem jüdischen Friedhof am Bécsi út begraben wurde. Sein Leichnam wurde auf den Schultern mehrerer Männer zum Friedhof getragen.
Glaube
Freitag abends und samstags gingen wir immer in die Synagoge. Wir feierten die jüdischen Feste und den Sabbat. Meine Mutter war den ganzen Freitag damit beschäftigt zu kochen, abends zündete sie Kerzen an. Das Seder-Fest konnten wir leider nicht zu Hause feiern, da mein Vater so früh gestorben war.
So feierten wir bei dem Bruder meiner Mutter, unter der Anleitung meines Onkels. Ich war dreieinhalb Jahre alt, und sie hatten zwei Kinder, eines war so alt wie ich. Es war Brauch, dass man am Seder-Fest Geschenke für die Kinder im Haus versteckt. Aber sie taten das nur für ihre eigenen Kinder. An mich, die Halbwaise, dachten sie nicht. Ich habe nichts bekommen. Das ist eine traurige Erinnerung, ich kann es nicht vergessen.
Gelber Stern
Es war furchtbar, den Stern zu tragen. Einmal ging ich durch ein Durchgangshaus in der Kiskorona utca. Eine Frau kam mir mit ihrer 7-8-jährigen Tochter entgegen und forderte ihre Tochter auf, mich anzuspucken. Das Mädchen hat das dann auch gemacht.
Diskriminierung, Deportation, Heimkehr
Damals fand ich keine Arbeit. 1937 gab man mir durch die Vermittlung eines Fürsprechers eine Stelle in der Goldberger Textilfabrik, dort lernte ich, im Fotolabor Textilfotos zu retuschieren. Nach dem 5. April 1944, als es Pflicht wurde, den gelben Stern zu tragen, mussten wir 18 Frauen und einige männliche Intellektuelle, bis zum Zeitpunkt der Deportation in der Fabrik wohnen. Auf dem Boden waren Matratzen ausgelegt, um uns herum waren Mäuse und Ratten. Am 1. Dezember 1944 kamen die Pfeilkreuzler und wir wurden ihnen ausgeliefert. Von dort brachte man uns in die Ziegelfabrik am Bécsi út. Nach einer Nacht, die ich niemals werde vergessen können, sperrten sie zu je 70 Personen am Bahnhof in Józsefváros in einen Viehwaggon. An diesem Tag brachten sie 3000 Frauen fort. Wir hatten weder etwas zu essen noch die Gelegenheit, zur Toilette zu gehen. An der ungarischen Grenze verfrachtete man uns in einen anderen Waggon, und wir konnten endlich unsere Notdurft verrichten. Wir waren 14 Tage unterwegs, bis wir in Ravensbrück ankamen, wo noch mehr Frauen waren. Wir warteten tagelang auf dem blanken Boden sitzend, bevor wir in einen großen Raum geführt wurden. Dort schliefen wir zu dritt in einem Bett.
Nachts hat man uns manchmal stundenlang gezählt, in lumpiger Unterwäsche standen wir draußen im eisigkalten Schnee. Fliehen konnte man nicht, weil das Lager1 mit elektrisch geladenem Stacheldraht eingezäunt war. Tagsüber mussten wir Straßen bauen. Wir bekamen kaum zu essen, mir ging es schlecht. Unglaublich viele sind verhungert. Als das Ende des Krieges abzusehen war, wurden wir zur kältesten Winterzeit in offene Viehwaggons2 getrieben.
Danach machte ich mich mit einer Freundin aus dem KZ auf den Heimweg. Wir gingen eine Woche lang zu Fuß, denn es fuhren keine Züge. Die Deutschen hatten alles zerstört. Am 28. Mai 1945 kam ich krank zu Hause an.
Antisemitismus
Wenn wir in die Synagoge gingen, riefen sie uns oft nach: „Stinkende Juden”.
Als die Juden aus den Lagern zurückkehrten, sagte man zu ihnen: Es sind mehr von euch zurückgekommen, als fortgebracht worden sind.
Das wünscht die 93-jährige Margit Krausz (geborene Falk) der heutigen jüdischen Jugend:
Ich wünsche der heutigen jüdischen Jugend eine schönere, bessere Zukunft als ich sie hatte und dass sie die Ereignisse von 1944 nicht vergessen und für das Judentum kämpfen, so dass sie nicht mehr verfolgt werden.
1 Auszug aus den deutschsprachigen Erinnerungen von Margit Krausz, die sie 2009 aus Berlin an Eszter Gombocz geschickt hat: „Die erste Nacht gab es nur Vernehmungen und Folterungen. Sie sammelten die noch bei uns gebliebenen Trauringe unter schweren Misshandlungen ein. Am Morgen wurden wir aufgestellt und in kleinen Gruppen auf einen Platz geführt, wo sie uns ganz und gar auszogen, die Haare wurden abgeschnitten, dann wurden wir in ein Zimmer geführt, wo die Decke und die Wände mit Gasrohren bekleidet waren. Als wir das sahen, tauchte in uns die Gewissheit auf, dass sie uns vergasen wollen. Man kann es nicht beschreiben, in welchem seelischen Zustand wir uns befanden. Wir waren sechs junge Frauen, die sich auf den Tod vorbereiteten. Wir verabschiedeten uns voneinander und begannen zu beten. Einmal stürzte ein SS-Soldat herein und als er sah, dass wir beteten, sagte er unter großem Gelächter: „Ihr wartet doch nicht auf den Messias, wir werden früher zu ihm gelangen als er zu uns.“ Dabei öffnete er die Hähne, die Wasserhähne waren. Es stellte sich dann heraus, dass hier das Bad war, wo wir nur ein einziges Mal gebadet wurden. Ich wurde ohnmächtig, eine Kameradin bekam Weinkrämpfe und tagelang zitterten wir. Wir bekamen mehrere Male Spritzen zur Verhinderung der Menstruation. Sie gaben uns Kleider von anderen Juden, die mit uns gekommen waren. Ich hatte ein dünnes Frühlingskostüm an, in dem ich während des ganzen Winters fror. Auf unsere Arme wurden die betreffenden Nummern der politischen Gefangenen genäht… Für die durch den Abfall und Schmutz entstandenen ansteckenden Krankheiten fehlte ärztliche Hilfe, schrecklich viele fielen diesen Krankheiten zum Opfer. Bei der Arbeit starben die heruntergekommenen Menschen wie die Fliegen. Die Krematorien in der Nähe waren Tag und Nacht in Betrieb. In meiner eigenen Arbeitsbrigade erlebte ich bei mehreren Schicksalsgenossinnen, dass sie schwer misshandelt und mit Gewehrkolben geschlagen wurden, so dass sie nach einigen Tagen an ihren Verletzungen starben. Ganz besonders die SS-Frauen waren es, die uns auf sadistische Art behandelten. Sechs Wochen dauerte die kaum auszuhaltende Leidenszeit für mich in Ravensbrück.“
2 "Drei Tage lang transportierten sie uns in der grimmigen Kälte in den auf beiden Seiten durchschossenen Viehwaggons, Lebensmittel bekamen wir überhaupt nicht. Meine Knochen waren von der Kälte ganz steif geworden, hohes Fieber quälte mich, ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, dass ich noch am Leben bleiben würde. Zum Schluss erreichten wir das Lager Penig, das zum KZ Buchenwald gehörte. In diesem Lager wohnten vor uns Russen, die unvorstellbaren Schmutz und Gestank hinterlassen hatten. In Etagen-Pritschen schliefen wir zu dritt auf einem 80-Zentimeter-breiten Brett, auf dem Packpapier als Matratzen dienten. Innerhalb weniger Augenblicke waren wir mit Lausen übersät, unsere Kleidung und unsere Köpfe, obwohl wir nur noch 2 Zentimeter lange Haare hatten. Darunter habe ich am meisten gelitten, da sie meinen Körper bis auf das rohe Fleisch anfraßen. Noch nach Jahren konnte man überall auf meiner Brust die Narben sehen… In diesem sehr geschwächten Zustand mussten wir in der 3 km entfernt liegenden Flugzeugfabrik arbeiten. Im März verstärkten sich die amerikanischen Luftangriffe in der Nähe des Lagers. Luftschutzräume hatten wir natürlich nicht, vielmehr wurden wir während der Luftangriffe in die Mitte des Lagers getrieben. Furchtbare Stunden erlebten wir mit dem Wissen, ohne Schutz zu sein, nur allein den Bombenangriffen ausgeliefert. Als dann in einer Nacht die Stromversorgung unterbrochen wurde, trieben sie uns auf die Landstrasse hinaus; in Begleitung von bewaffneten Aufsehern mussten wir die ganze Nacht marschieren, unsere Kräfte hatten uns schon ganz und gar verlassen, wir schleppten uns nur noch, fielen hin; nur mit Fußtritten und Gewehrkolben zwangen sie uns, Übermenschliches zu leisten… Zwei bis drei Wochen dauerte dieser ziellose Marsch… In Ställen und in Strohschobern wurden wir jede Nacht untergebracht. Eines Morgens verschwanden die SS-Soldaten und dann wussten wir, dass wir Hoffnung auf eine Flucht hatten. Unter übermenschlicher Aufbietung aller Kräfte setzten wir unseren Weg fort, und zwar jetzt allein in Richtung auf die tschechoslowakische Grenze. Als ich in Budapest ankam, wog ich kaum 40 kg. Meine Mutter, die auf bewundernswürdige Weise diese schrecklichen Zeiten im Ghetto überlebt hatte, erkannte mich zuerst nicht. Mein ältester Bruder, der der Ernährer unserer Familie war, verhungerte im KZ-Lager Mauthausen".