Tel Aviv, 2013, Gepräche mit Lea (Neuman) Marchfeld
(Schlagworte: Friedhof meiner Familie, ich kann nicht zurück. Alle umgebracht, Eltern und Bruder, 17 Jahre, Zionismus)
Eszter Gombocz: Ob Sie dann je noch einmal nach Hause gefahren sind, also zu Ihrer Heimatstadt? Haben Sie die Kraft gehabt? (see Video)
(Neuman) Lea Marchfeld: Ich war eine persönliche Außnahme, weil alle meine Bekannten sind ja gefahren, und ich war in Wien und war nur eine Stunde entfernt von dem Ort, wo ich geboren bin. Aber ich bin da gestanden und hab gedacht, was soll ich dort machen. Was soll ich dort machen, ich kenne schon keine Menschen mehr. Und all die ich gekannt hab und die mit mir verwandt waren, alles hat man umgebracht. Was soll ich dort suchen? Ich bin nicht gefahren, aber ich war eine Außnahme. Sind alle gefahren, gefahren, gefahren. Schnell noch einmal Bratislawa sehen. Das Bratislawa hat mich nicht mehr interessiert. Wohin ich gegangen wäre, hätte ich mich nur erinnert, dass: da hatte ich eine Freundin, da hatte ich eine Bekannte, da war meine Schule, ich weiß nicht was. Vielleicht war ich zu schwach dafür oder hat etwas in mir sich dagegen gesträubt. Ich hab gedacht, was soll ich auf dem Friedhof von meinem Volk spazieren gehen. War niemand mehr dort. Dort waren ein oder zwei Familien. Von allen Juden, ein oder zwei Familien geblieben. Man hat mir auch die Adresse gegeben, dass sie werden mir Verschiedenes erzählen können. Ich weiß nicht wie die dort überlebt haben. Alle anderen hat man umgebracht. Alle hat man umgebracht! Schauen Sie, wieso sind ihnen 6 Millionen zusammengekommen? Sind sehr sehr viele ermordet.
E. G. Sie hatten auch einen kleinen Bruder gehabt nicht war?
L. M. Ja, ja, leider. Mit dem tut mir das Herz weh. Weil er ist mit meinen Eltern zusammen umgekommen.
E. G. Zusammen? Wie alt, er war sehr klein.
L. M. 17 Jahre war er alt. 16 oder 17 nicht einmal. Sagen wir so. Und er ist mit seiner Mutter in die Reihe gegangen, die vergasst worden sind.
Tel Aviv, 2014. Gespräch mit (Neumann) Lea Marchfeld (see Video)
„Da war Zionismus unsere Religion.”
(Neumann) Lea Mansfeld: Und meine Eltern haben Deutsch gewählt. Ja man konnte sich erklären, man ist Ungarisch oder Slovakisch oder Deutsch. Und meine Eltern haben sich für Deutsch erklärt, weil wir haben wirklich zu Hause Deutsch gesprochen. Und dadurch bin ich auch in eine deutschsprachige Schule gekommen.
E.G. Ach so! [Das war] keine jüdische Schule?
L.M. Doch war jüdisch auch und jüdisch und deutsch.
E.G. Wo war diese Schule?
L.M. In Bratislava.
E.G. Wo genau? Das war die einzige jüdische Schule in Bratislava?
L.M. Eigentlich ja. Es war in der selben Straße, wo wir gewohnt haben.
E.G. Wie hieß die Straße?
L.M. Turnagasse in Pressburg. Pressburg hat das damals geheißen.
E.G. Wie war das Leben dort in Pressburg? Sie hatten mehrere Geschwistern, nicht war?
L.M. Ja. Die Mutter von der Edit war die älteste Tochter. Saria. Die war die älteste. Und wir waren fünf. Und als Hitler näher und näher zu uns kam, da ist schon mein Bruder, der Jakob nach England. Freunde haben ihn dorthin eingeladen. Und ich hab mich eingeschrieben in einen illegalen Transport nach Israel. Agios Nikolaus hat das Schiff geheißen. Das war ein griechisches Schiff. Aber nicht ein Passagierschiff. Es war ein Schiff für commercial.
Edit Barkay: Teherhajó.
L.M. Vor uns hat das Pferde geliefert. Und so sind wir natürlich nur auf dem Boden gelegen in dem Schiff. Unt dort waren wir hereingepresst 700 Menschen und haben wir gehabt nicht einmal 90 Zentimeter zum Liegen. Aber das war nicht das Schlimmste. Schauen Sie, wir waren jung alle. Man hat niemand alten [man hat keine alten Menschen] genommen. Nur junge Menschen waren auf dem Schiff.
E.G. Und Sie hatten einen Freund aus Wien, aber der war noch nicht mit dabei.
L.M. Er war zufällig auch auf dem Schiff und ich hab ihn dort kennegelernt. Und viel später haben wir dann geheiratet. Ja. Aber er war schon damals in der Tschechoslowakei ein Flüchtling für Össterreich. Und so waren einige Österreicher auch dabei und die meisten waren aus der Slowakei. Und wir sind ganz zufällig, bis auf einige sind wir alle angekommen. Einige sind umgekommen, weil die Engländer uns angeschossen haben, wie man halten wollte. Und sind schrecklich beschossen worden. Und natürlich sind einige getroffen. Aber die anderen sind dann angekommen in Griechenland und drei Monate gestanden in einem Hafen und hatten keinen Captain wegzufahren, er wollte nicht mehr. Er hat gesehen: man wird beschossen. Wir haben keinen Captain gehabt. Das heißt er war im Schiff aber er wollte nicht fahren. Und es hat sehr lange gedauert, bis uns die Joint aus Amerika durch die jüdischen Leute in Griechenland uns geholfen, haben herauszukommen von dort. In dem wir zweimal das Schiff geändert haben bevor wir angelegt haben in einer Barke. In einem Boot. Nicht mehr im Schiff. Das alleine war natürlich schon ein, wie soll ich Ihnen sagen, ein Erlebnis. Ein Ereignis, aber ich war 20 Jahre alt und ich habe das sehr-sehr leicht genommen. Ich war froh, ich bin weg, und ich war mir sicher ich komm hierher.
G.E. Und haben Sie gewusst damals, wenn Sie zu Hause bleiben, dann haben sie keine Chanche dort zu leben.
L.M. Na sicher nicht, als Juden sind alle umgekommen, die dort geblieben sind.
E.G. Sie hatten das Gefühl, dass […]
L.M. Schauen Sie, mein Bruder Gott sei dank hat in England überlebt. Ich hab hier überlebt. Und meine Schwester, die Mutter von der Edit war schon lange in Budapest. Und auch die zweite Schwester war verheiratet in Ungarn. Also wir waren schon keine mehr dort, nur mein kleiner Bruder und meine Eltern, und die sind umgebracht worden von den Deutschen. Und sie sind deportiert worden in, wo waren die nun alle deportiert, und dann sind Sie vergasst worden.
E.B.: In Auschwitz.
L.M. Auschwitz , ja.
E.G. Und Sie haben das durchgesehen, dass Sie weggehen müssen.
L. M. Selbstverständlich, wir haben doch gewusst was sich da tut. Damals ist schon sehr viel Blut geflossen in Europa. Ich meine jüdisches Blut ja. Und außerdem war die Kriegsgefahr schon vor der Tür. Gerade noch eine Woche oder wie, ein Paar Tage vor dem Kriegsausbruch herausgekommen. Da war ich schon am Schiff und das Schiff ist ganz rasch nach Griechenland. Und dann alles andere, was sich abgespielt hat, war in Griechenland.
E.G. Und in der letzten Minute sind Sie davongekommen.
L. M. Nach Monaten sind wir davongekommen in diesem kleinen Boot, wo man uns hereingepresst hat und so sind wir illegal gelandet.
E.G. Fantastisch. Das ist enorm. Und jetzt sind Sie 96 Jahre alt geworden.
L.M. Ja aber ich bin halt gerettet worden dort. Das war meine Rettung. Und ich war vom ersten Moment hier sehr-sehr glücklich. Es war so ein armes Land! Aber es war mir immer ein schönes Land. Aber arm und die Menschen waren so bescheiden und so arm, aber das hat gepasst in diese Gegend und das hat mich gelehrt: auch man braucht nur so viel, wie die anderen haben. Man braucht nicht mehr. Jeder hat das selbe Schicksal gehabt.
E.G. Was haben Sie dann angefangen zu tun?
L.M. O ja ich hab gearbeitet. Ich hab mich erhalten und dann haben wir geheiratet und sind nach Jerusalem übersiedelt, weil meinem Mann war in Tel Aviv zu heiß im Sommer. Und dann haben wir in Jerusalem gelebt, haben wir wieder Krieg gehabt in Jerusalem mit den Arabern, also ich, das war ein sehr-sehr bewegtes Leben.
E.G. Abenteuerliches Leben. Und was haben Sie gearbeitet?
L.M. Ja, ich hab nähen gelernt, bevor ich ausgewandert bin, und ich hab genäht die ganze Zeit. Bei SchneiderInnen oder selbstständig oder so. Und so haben wir uns erhalten irgendwie.
E.G. Und was waren die Eltern vom Beruf zu Hause?
L. M. Damals haben sie schon nicht mehr gearbeitet, es war schon für Juden unmöglich. Mein Vater war ein Agrosist [Agronom?] in Holz. Aber das war dann auch aus für die [man konnte als Jude nicht mehr arbeiten.]
G.E. Wann hat man verboten zu Hause, noch in der Slowakei zu arbeiten? In Pozsony, in Pressburg?
L.M. So lange ich noch dort war, hat man noch gearbeitet. Aber danach weiß ich nicht mehr, danach war ich weg. Ich war dann am Schiff. Wie die Deutschen besetzt haben Slowakei, war ich schon am Schiff. Und rosig war es nicht.
E.G. Wie fühlt sich die Sprache? Ist die deutsche Sprache noch etwas Schönes in Erinnerung?
L.N.Selbstverständlich, es war ja meine Muttersprache. Obwohl ich inzwischen Englisch gelernt hab schon lange, weil hier bin ich damals mit Deutsch nicht sehr gut durchgekommen. Es war Englisch, Arabisch und Hebräisch. Also hab ich natürlich gelernt Englisch und Hebräisch.
E.G.Haben Sie auch Jiddisch zu Hause gesprochen?
L.M. Nein, nicht ein Wort.
E.G. Der Vater auch nicht.
L.M. Nein. Das waren religiöse Menschen die nicht Jiddisch gesprochen haben. Ein klares gutes Deutsch haben sie gesprochen. Im Gegenteil, meine Mutter hat alles ausgebessert, wenn man nicht richtig gesprochen hat oder nicht richtig geschrieben hat. Nein, die war hohe Klasse in Deutsch und in Franzözisch. Meine älteren Schwestern, die der Mutter von der Edit, meine älteren Schwestern, wir haben ja Franzözisch gelernt privat und Ivrit privat, ich auch. Und sie konnten Deutsch, Ungarisch, Franzözisch und Ivrit haben sie gelernt.
E.G. Wie war zu Hause, wie wurde die Religion […]?
L.M. Ja die waren religiös, die Eltern waren religiös.
E.G. Was bedeutete das, können Sie davon etwas[ erzählen]?
L.M. Nein. Leider nicht. Schauen Sie. Ich will Ihnen sagen. Ich bin hergekommen jung, ich war 20 Jahre und hab natürlich, bin ich, ich war nie sehr religiös. Und hier war das Leben sehr frei. Irgendwie als Jude im Moment wie sie hier waren, haben sie das Gefühl gehabt, hier bin ich schon, man muss nicht außerdem noch weiß Gott wie religiös oder was sein um ein Jude zu sein. So haben wir uns gefühlt wir Zionsiten. Da war Zionismus unsere Religion.
E.G. Genau. Waren Sie auch in einer zionistischen Organisation schon zu Hause drin?
L.M. Ja, ja.
E.G. Wie hieß diese Organisation dort? Was war der Name?
L.M. Ah, das war eigentlich nur für Jugend eine Organisation, dass wir uns getroffen haben für Zionismus. Ein zionistischer Verband.
E.G. Und waren die Eltern nicht dagegen?
L.M. Nein, sie waren nicht dagegen, aber sie waren natürlich auch nicht dafür. Wir haben nicht daran gedacht, dass etwas kommen kann, dass wir weg müssen von dort.
E.G. Sie haben nicht dran geglaubt, sie…
L.M. Nein, nein, nein, die haben nie, nicht gewusst. Erst bis man gehört hat schon die schrecklichen Nachrichten.
E.G. Wann war das?
L.M. 1920 [Lea muss sich hier geirrirrt haben. Sie denkt wohl an die 30-er Jahre] haben wir schon gewusst, es ist großer Antisemitismus in Deutschland, und dass Hitler in Deutschland ist und da hat der große Antisemitismus auch in anderen Ländern angefangen.
E.G. Und die Elten wollten auch nicht mit flüchten? Haben sie nicht gedacht, dass sie auch [flüchten sollten]?
L.M. Nein, das war unmöglich daran zu denken. Das war alles nur für junge Leute. Das hätte kein älterer Mensch überlebt, was ich da erlebt habe. Und man hätte sie auch nicht genommen. Außerdem haben wir auch nicht gewusst, dass man ältere Menschen vernichten wird oder Kinder, kein Mensch hat daran gedacht. Das hat man sich nicht vorstellen können, diese Grausamkeiten die danach geschehen sind.
E.G. In Ungarn, also in unserem, innerhalb von Ungarn nach Trianon hat man auch nicht dran geglaubt.
L.M. Nein. Das war unglaublich. Das konnte man, das konnte man sich nicht vorstellen, dass Menschen so unmenschlich sind.
E.G. Sie haben damals auch nicht richtig glauben können und jetzt glauben Sie auch nicht mehr an Gott? Dass kann ich gut verstehen.
L.M. Aber sind andere die ja glauben. Ich nicht!
E.G. Wie können Sie das erklären?
L.M. Ich kann das insofern erklären als das einiges in mir vorgegangen ist. Als der Krieg zu Ende war, man gehört hat, dass man einenhalb Millionen jüdische Kinder ermordet hat. Ja. Na wie kann ich gehen in den Tempel und einen Gott anbeten, wenn er erlaubt hat, dass man einenhalb Millionen Kinder umbringt. Und einiges noch so. Ich bin dann überzeugt worden, wir müssen alleine wissen, wir müssen uns hier verteidigen. Wir können nicht warten darauf, dass Gott uns beschützt. Sehr viele sind damals volkommen von jeder Religion abgekommen. Also haben wir in Zionisten verwandelt. Weil wir daran geglaubt haben nachher, dass wir können uns nur alleine verteidigen. Wir können nicht darauf warten, dass uns Gott beschützen soll. So denke ich. Ich will nicht für alle sprechen, weil es gibt ja auch religiöse Menschen.
E.G. Also das können Sie akzeptieren aber Sie wollen nicht [religiös sein].
L.M. Nein. Nein ich kann nicht. Ich persönlich bin anderer Überzeugung.
E.G. Es ist sehr interessant, dass Sie gläubige Eltern Hatten, die Mutter war auch gläubig nicht?
L.N. Sehr. Sehr.
E.G. Sie hatte noch Perücke gehabt nicht war? Perücke hat sie getragen.
L.M. Ich glaube ja. Ja sie war eine richtig orthodoxe Frau.
E.G. Und Sie sind in die Synagoge gegangen noch als Kind?
L.M. Ja aber ich sag Ihnen dann nachher ich war ganz weg von all diesen Sachen. Ich bin dann organisiert gewesen zionistisch und hab daran geglaubt und bin dann auch hier hergekommen so gut doch schlecht ich konnte. Illegal. Das war sehr gefährlich, aber ich bin gekommen. Das war was ich wollte.
E.G. Das haben Sie erreicht, das ist sehr schön. Und haben Sie noch Kontakt gehabt zu den Eltern nach einiger Zeit?
L.M. Kaum. Es war schon im Jahre 39 und im Jahre 40, 39 ist schon der Krieg ausgebrochen.
E.G. Sie sind schon früh deportiert worden.
L.M. Die sind in 41 oder 42 deportiert worden. [Wir haben] niemals wieder einen Brief bekommen.