Die Klassenkameraden von der Schule in der Zichy utcaEs gab eine Familie namens Andauer. Die Leute sagten immer, dass die Juden sehr reich seien. Doch die Mutter der Andauers arbeitete in der Goldberger Fabrik, außerdem ging sie zu anderen Leuten waschen, damit sie ihre Kinder versorgen konnte. Eine der Andauer Töchter, Edit, war meine Klassenkameradin. Und Rózsi Andauer ging in die Klasse über uns. Sie überlebten. Rózsi war bis zu ihrem Tod Direktorin eines Chemieunternehmens. Dann gab es noch ein Mädchen mit Namen Marika Kohn, ihre Familie wohnte in der Óbudaer Gasfabrik, sie sind nach Israel ausgewandert. Seitdem habe ich nichts mehr von ihnen gehört. Magda Hirschler ging auch nach Israel, ihre Eltern und ihre anderen Verwandten waren umgekommen.
Das Leben ist komisch: Ich wollte mich mit einer alten Budapester Freundin treffen, doch sie konnte mir nicht genau sagen, wann sie Zeit haben würde, da sie eine Freundin aus Israel erwartete. Zufällig erwähnte sie, dass diese Freundin Magda Hirschler war. Seit 1947 hatte ich nichts mehr von Magda gehört, aber jetzt haben wir es geschafft, uns wieder zu treffen. Die Eltern von Kati Baron, der Cousine von Magda Hirschler, wurden gleichfalls ermordet. Sie war ein Einzelkind, dann ist sie irgendwie verschwunden und ist inzwischen verstorben. Die Eltern von Ani Szamek hatten gegenüber des Flórián Kinos ein großes Modegeschäft. Sie war ein wunderschönes Mädchen. Sie starb mit 20 Jahren an plötzlichem Herzversagen. Die Eltern sind darüber ganz krank geworden. Ihr älterer Bruder, der zwei oder drei Klassen über uns war, wurde unter dem Namen György Szamosi Anwalt und ist vor ein paar Jahren verstorben. Ich hatte auch einen Klassenkameraden namens Polacsek, dann noch Bandi Steiner und József Steiner, der heute unter dem Namen
József Sugár in Altofen lebt.
Bandi Steiner lebt in Australien, er macht Skulpturen aus hunderte Jahre alten Bäumen.
Ich hatte einen sehr klugen und schönen Mitschüler namens Miki Wózner, das „Gehirn“ der Klasse. Er war aus Csillaghegy. Die Csillaghegyer wurden ebenso wie die übrige Landbevölkerung deportiert. Er ist nicht zurückgekommen. Gyuri Roth wurde auch deportiert, dann Péter Vándor, der Sohn von Lehrer Vándor, der eine Klasse unter mir war und der jetzt im Ausland, in Amerika, lebt.
Dann gab es noch einen, der Schleien heißt und ab und zu aus Israel hierher nach Hause kommt. Ich erinnere mich noch an Ibolya Fröhlich, ich weiß nicht, was mit ihr passiert ist.
Leider ist es so, dass, wenn die Erinnerungen und die Fragen wieder in einem hochkommen, es niemanden mehr gibt, der antworten könnte.
Schulfächer, Religionsunterricht, SportlehrerHerr Neumann war der Rabbi in Altofen. Er war ein bärtiger, herzlicher Mann, wir mochten ihn. Die Ehefrau des Zahnarztes vertrat die Sportlehrerin. Sie hieß Ancsi Boér, wir mochten sie sehr. Einmal kam sie mit zwei verschiedenen Socken in die Schule, und wir lachten über sie. Sie lachte mit, was ihre Beliebtheit nur noch steigerte. Sie war nicht wirklich schön, sondern groß und schlaksig mit kleinen herausstehenden Zähnen. Ihr Ehemann, Doktor Boér, der am Flórián tér seine Zahnarztpraxis hatte, kam nicht zurück. Frau Ancsi traf dann ihre Kindergartenliebe wieder. Auch er war inzwischen verwitwet, sie heirateten und lebten glücklich zusammen. Frau (Gyenes) Jolán war sehr streng, sie lächelte kaum, verstand keinen Spaß. Sie kam nicht zurück.
Synagoge In der Synagoge saßen die Frauen auf der Galerie und bedeckten ihre Köpfe mit einem Tuch. Die Altofener Synagoge war eine neologe Glaubensgemeinschaft. Meine Familie war tolerant, wenn jemand einen Christen heiraten wollte, wurde das akzeptiert. Aber dazu muss auch die andere Seite tolerant sein.
Verstörende ErinnerungenVon Zeit zu Zeit fällt mir ein Bild aus meiner Kindheit ein und es gibt niemanden, mit dem ich es teilen könnte.
AuswanderungZwischen 1946 und 1956 sind die Menschen reihenweise ausgewandert. Es war nicht einfach. Oft wurden sie gefasst und eingesperrt und sie mussten es erneut probieren. Die meisten haben das Land wohl im Frühjahr 1949 verlassen und gingen als Feldarbeiter nach Israel.
Friede zwischen den Schwaben und den Juden
Wir gingen genauso in die Läden der Schwaben. Wir haben einander geehrt und geachtet. Am Kolosy tér befanden sich die folgenden
Geschäfte
: Bilik Hutmacher, Zsigmond Rosenbergs Haushaltswarengeschäft (der Mann war jüdisch, die Frau Christin) und die Kneipe von Géza Weisz. Am Bécsi út war das Kurzwarengeschäft Klein, gegenüber des Újlaki Kinos die Hoffmann Bäckerei, der Besitzer war Schwabe, dann die Uhrmacherei Fried. Der Besitzer war Jude und wahrscheinlich der einzige, der nach dem Krieg den Laden wieder eröffnete. Neben dem Kino war das Süßwarengeschäft von Rosenberg.
Der Mann wurde ermordet und die Frau führte den Laden bis zur Verstaatlichung mit ihrer älteren Schwester zusammen. Der Milchladen von Ulmers, den zwei unverheiratete Frauen bis zur Verstaatlichung führten. Daneben die andere Weisz Kneipe, der Vater kam im Arbeitsdienst um. Ich erinnere mich nicht mehr an seinen Vornamen. Der Hochfelder Eisenwarenhandel und der Zsigmond Schmiedek Eisenwarenhandel befanden sich im Kinogebäude, die Schmiedeks waren auch die Besitzer. Dann die Unger Kneipe in der Galagonya utca, die Frau war Christin. Ihr Sohn Károly Unger war über Jahrzehnte der Präsident der Koch- und Konditorenvereinigung, er veröffentlichte mehrere Fachbücher. Am Kolosy tér war auch das Gewürzgeschäft von Herrn Szeitz, am Bécsi út das von Vilmos Pelz. Beide waren Schwaben und ordentliche, ehrenhafte Geschäftsmänner, wir kamen sehr gut mit ihnen aus.
Vaterlose GenerationIch weiß nicht, ob ich auch nur einen Klassenkameraden hatte, dessen Vater überlebte. Die Männer hat man zum Arbeitsdienst gezwungen, von dort kamen sie ins Konzentrationslager, danach kamen sie nicht mehr zurück. Diese Generation hatte praktisch keine Väter. Wir waren zehn Cousins und Cousinen, die zwischen 1930 und 35 geboren worden waren und nur ich habe überlebt. Von mütterlicher Seite ist mir eine einzige Cousine geblieben, die neun Jahre älter ist. Sie ist aus einem Arbeitslager entflohen. Wir hatten eine schöne, große Familie, einer gab dem anderen die Klinke in die Hand, unsere Tür war für jeden offen, und auf einmal stand ich allein da. Die auf dem Land lebenden Verwandten sind alle gestorben. Auch die Kinder haben sie alle vergast.
Mein Vater ist aus dem Arbeitsdienst geflohen, nahm einen falschen Namen an und versteckte sich. Meine Mutter wurde aus dem Haus mit dem Judenstern in die Altofener Ziegelfabrik verschleppt. Ein Pfeilkreuzler namens Illés ging ein Stück mit ihr. Er war der Vater einer meiner Klassenkameradinnen auf der Schule am Kolosy tér gewesen. Mama bot ihm ihren Verlobungsring an und noch irgendwas, erwähnte, dass ihre Kinder in einer Klasse waren, sie kannten sich, aber Illés nahm den Ring nicht an, er wurde sogar ziemlich grob.
Soweit ich weiß, hat Illés abgesehen von dem Vorfall mit meiner Mutter, so viele Grausamkeiten begangen, dass man ihn am Ende aufgehängt hat. Ich habe später seine Tochter getroffen. Wir haben uns gut verstanden. Ich habe nie ein Kind für die Taten seines Vaters verantwortlich gemacht. Der Vater einer anderen Klassenkameradin vom Kolosy tér hatte ein Lebensmittelgeschäft in der Lajos utca. Er war der erste, der aufschrieb, dass Juden und Hunde nicht bedient werden. Er hieß Herr Menzer. Mit seiner Tochter verstehe ich mich heute noch gut. Gegen Ende seines Lebens arbeitete Herr Menzer als Portier in einem Restaurant am Fő tér.
Sich entschuldigen? Warum hätten sie sich entschuldigen sollen? Ah, das war ihre Überzeugung. Die Schwaben waren auch nicht schlimmer als die Ungarn. Sogar. Das ist eine Erziehungssache. Und dann haben sie versucht, ihren Nutzen aus den Juden zu ziehen, sie nahmen sehr vielen Juden die Sachen weg. Es kam vor, dass sie eine Wohnung sahen und sie samt Einrichtung übernahmen. Meine arme Mutter wurde mehrmals gezwungen umzuziehen. Erst in ein Haus mit Judenstern dann in ein geschütztes Haus, von dort ins Ghetto. Da war nur noch ein vernichtend kleiner Bruchteil ihrer Sachen übrig.
Auf der Straße standen die Leute und begafften den Menschenzug: Schwester, geben Sie mir ein Paket! Es kam vor, dass sie einem alten Mann noch das allerletzte Bündel aus der Hand rissen und dem Gaffer, der danach verlangt hatte, weitergaben. Das waren bestürzende Erlebnisse, denn das waren keine Menschen, die auf die Sachen angewiesen gewesen wären. Ohne zu zögern, übernahmen sie die Judenwohnungen. Es gab auch wohlhabende Juden, deren Wohnungen waren besonders begehrt. Die größten Pfeilkreuzler hatten es am leichtesten, die jeweilige Wohnung zu bekommen. Unsere Wohnung konnten wir zunächst behalten, dann besetzten sie sie doch. So wohnten wir zeitweise im Nachbarhaus in einer Küche. Später kauften wir eine Wohnung in einem Haus, das ein Verwandter von uns gebaut hatte.
Die geschützten Häuser waren nur in der Theorie geschützt. Tatsächlich aber machten die Pfeilkreuzler auch vor diesen Häusern nicht halt und schleppten die Bewohner hinaus, hinaus an die Donau und erschossen sie.
Die Zichy utca 9 nach dem KriegNach der Belagerung wurde in dem Gebäude auch ein Waisenhaus eingerichtet. An den Wochenenden nahmen auch wir einige Waisenkinder mit zu uns. Gaben ihnen Essen, Trinken, kümmerten uns um sie, mein Vater gab Ihnen Geschenke und Geld.